Rezension zu Jenkins: Nonmonogamy and Happiness
Jenkins, Carrie (2023): Nonmonogamy and Happiness. Thornapple. ISBN 978-1-990869-16-7. D: 10,00 EUR. Hier geht es zum Buch.
Thema
In ihrem Buch Nonmonogamy and Happiness widmet sich Carrie Jenkins der Frage, wie nicht-monogame Liebesbeziehungen mit persönlichem Glück und sozialer Akzeptanz verbunden sind. Sie stellt die dominante, westliche romantische Ideologie infrage, die das Streben nach Glück eng an eine monogame, lebenslange Beziehung knüpft und damit alternative Beziehungsformen wie Polyamorie marginalisiert. Jenkins' Werk beleuchtet kritisch die gesellschaftlichen Normen, die monogame Beziehungen als einzige Möglichkeit der Erfüllung und des Glücks darstellen. Sie argumentiert, dass diese "Amatonormativität" – ein Begriff von Elizabeth Brake – das Denken und die Lebensmodelle vieler Menschen einschränkt, indem sie das „Happily Ever After“ der romantischen Monogamie zum Standard erhebt: „happiness is what you're supposed to want out of life, and conventional, monogamous, romantic love is how you're supposed to go about getting it.“ (S. 2f.).
Autorin
Carrie Jenkins ist Philosophin und Professorin für Philosophie an der University of British Columbia. Sie ist bekannt für ihre Arbeiten zur Philosophie der Liebe und zur Erkenntnistheorie und setzt sich intensiv mit der sozialen Konstruktion von Beziehungen auseinander. Jenkins' Forschung ist stark interdisziplinär ausgerichtet und verbindet philosophische Analysen mit Erkenntnissen aus den Sozial- und Kulturwissenschaften. In ihren Werken verfolgt sie das Ziel, romantische und gesellschaftliche Normen kritisch zu hinterfragen und die Bedeutung von Freiheit und Vielfalt in zwischenmenschlichen Beziehungen zu betonen.
Entstehungshintergrund
Nonmonogamy and Happiness entstand in einem breiteren Kontext von Jenkins' Forschung zur Liebe und ihrem Vorhaben, gesellschaftliche Normen kritisch zu hinterfragen. Das Buch folgt ihrem Werk What Love Is and What It Could Be und setzt ihre Auseinandersetzung mit der Ideologie romantischer Liebe fort. Jenkins, die selbst in polyamoren wie auch monogamen Beziehungen lebte, greift auf persönliche Erfahrungen und eine breite philosophische Tradition zurück, um die Wechselwirkungen von Liebe, Glück und gesellschaftlichen Erwartungen zu analysieren. Dabei integriert sie unter anderem Viktor Frankls Idee, dass Sinn, nicht Glück, das zentrale Ziel eines «guten Lebens» ist.
Aufbau und Inhalt
Nonmonogamy and Happiness von Carrie Jenkins ist klar strukturiert und folgt einer analytischen Herangehensweise an die Themen konsensuelle Nichtmonogamie und Glück. Das Buch beginnt mit einer Einführung in die „romantische Ideologie“ und deren Rolle in der westlichen Kultur. Jenkins beschreibt diese Ideologie als das Narrativ, das besagt, dass wahres Glück nur in einer exklusiven, lebenslangen Beziehung erreicht werden kann, was sie sehr besorgt: „I'm troubled for political reasons, and for personal reasons. I'm also profoundly philosophically troubled by romantic love. And these things overlap: the personal is political, and it's philosophical too.“ (S. 7f.).
Im weiteren Verlauf (S. 21f.) führt Jenkins den Begriff der „Amatonormativität“ ein, der von der Philosophin Elizabeth Brake geprägt wurde. Dieser Begriff beschreibt die Annahme, dass eine exklusive, permanente und romantische Beziehung zwischen zwei Menschen das erwünschte Beziehungsmodell für alle darstellt. Jenkins untersucht, wie diese Amatonormativität Menschen in ihrer Wahl von Beziehungsformen beeinflusst und einschränkt sowie alternative Beziehungskonzepte wie Polyamorie oder offene Beziehungen stigmatisiert.
Im weiteren Verlauf geht Jenkins auf weitere strukturelle Diskriminierungsformen wie Rassismus und Klassismus ein und zeigt, dass die mononormative Ideologie ähnliche gesellschaftliche Gewalt erzeugt. Vor allem argumentiert sie, dass dies eng mit dem Amatonormativitismus verknüpft ist. Ideologien, auch der Amatonormativitismus, haben reale gewaltvolle Auswirkungen auf die Struktur einer Gesellschaft und die Menschen, die in dieser leben. Jenkins schlägt einen Bogen zum Kolonialismus, der ohne Mononormativität ebensowenig denkbar ist, wie ohne Rassismus, ohne Christentum und ohne Heteronormativität (S. 38 ff.). Auch die offensichtlichen Parallelen zu *Transfeindlichkeit stellt sie heraus (S. 51f.)
Jenkins geht auch auf die psychologischen und philosophischen Aspekte von Liebe und Glück ein. Sie argumentiert, dass die Suche nach Glück im westlichen Kontext oft an den Monogamiezwang gekoppelt ist und dass Nichtmonogamie häufig als „emotionaler Misserfolg“ angesehen wird (S. 26f.). Sie kritisiert die Tendenz, bei gescheiterten nichtmonogamen Beziehungen automatisch die Beziehungsform an sich verantwortlich zu machen, während bei monogamen Beziehungen selten die Monogamie als Ursache des Scheiterns hinterfragt wird: „There's a tendency to blame the nonmonogamy whenever a nonmonogamous relationship doesn't work out, whereas we rarely see monogamy take the hit when a monogamous relationship breaks down.“
Jenkins argumentiert, dass toxische Positivität sowie erneut strukturelle Gewalt wie der Klassismus und die christliche Religion nicht nur Zusammenhänge aufweisen, sondern eng miteinander verknüpft sind. Die gesellschaftliche Ignoranz gegenüber diesen strukturellen Gewalten wird als «aktive Ignoranz» bezeichnet. Dies erscheint sehr anschlussfähig an die Forschung zu Verschwörungstheorien. Jenkins zeigt auf, dass auch die Zuschreibung von Wertungen an Emotionen sozial konstruiert sind.
Abschließend stellt Jenkins das Konzept der „eudaimonischen Liebe“ vor, das auf dem antiken griechischen Begriff der Eudaimonie basiert, welcher für ein «gutes Leben» steht, das auf Sinn und Erfüllung ausgerichtet ist. Sie argumentiert, dass ein erfülltes Leben und eine erfüllte Beziehung nicht notwendigerweise durch Glück im traditionellen Sinne definiert sind, sondern durch Sinn und Interdependenz: „A eudaimonic human life is one conducive to collaboration and the co-creation of meaning […]. A eudaimonic love is, likewise, one that leads us towards collaborating in those meaning-making activities.“ (S. 86f.). Neben vielen anderen führt Jenkins passend dazu Viktor Frankl und dessen Buch ...trotzdem Ja zum Leben sagen an.
Diskussion
Carrie Jenkins’ Nonmonogamy and Happiness bietet eine anregende und umfassende Einführung in die Problematik der monogamen Beziehungsnorm und ihrer Auswirkungen auf unser Verständnis von Liebe und Glück. Die Autorin gelingt es, komplexe theoretische und soziale Konstrukte zugänglich zu machen, ohne dabei an wissenschaftlicher Tiefe einzubüßen. Besonders gelungen finde ich ihre Einführung des Begriffs „Amatonormativität“, der die monogame Normativität treffend beschreibt und zeigt, wie tief diese in unser Denken eingebettet ist. Jenkins macht deutlich, dass diese Norm nicht nur eine persönliche Wahl betrifft, sondern ein strukturelles Element unserer Gesellschaft ist, das die Freiheit der Individuen in ihren Beziehungsentscheidungen stark beeinflusst. Sie zeigt, wie zahlreiche andere Autor*innen, auf, dass der Mensch in Widersprüchen lebt: „So nonmonogamous love might well turn out to be a "yes and no" case of romantic love. The biology says yes, but the social norms say no. “ (S. 15). In vielen von Jenkins angesprochenen Punkten erkenne ich Foucaults Konzept der Biopolitik, was ein tieferes, analytisches Verständnis ermöglicht.
Ein weiterer starker Aspekt des Buches ist Jenkins’ kritische Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Vorstellung von Glück, die ein individualisiertes, normgerechtes Streben nach Glück propagiert und dabei soziale und emotionale Interdependenz unterminiert. Ihre Analyse, dass kapitalistische Ideologie die vernetzte Natur menschlicher Beziehungen vernachlässigt oder gar verdrängt, ist besonders eingängig formuliert: „capitalism needs to downplay our complex human interconnectedness and interdependence on one another.“ (S. 57). Jenkins’ Ansatz ist durchaus herausfordernd, da sie dazu auffordert, traditionelle Vorstellungen von Beziehungen, Glück und sogar von unserer Rolle in der Gesellschaft zu hinterfragen. Sie reiht sich ein in die Menge der Vielen, die bereits kapitalistische Logiken im Kontext Glück und Liebe als viel zu unterkomplex und schädlich kritisiert haben.
Sie führt weiterhin aus, dass das Anerkennen und Wahrnehmen und Wertschätzen sogenannter „negativer“ Emotionen wichtig ist, um strukturelle Gewalt zu hinterfragen und zu ändern, sowie Interdependenz — „everything depends on everything else“ (S. 68) — zu verstehen und produktiv zu nutzen. Im weiterten Verlauf wird Interdisziplinarität stark gemacht und die Kritik an romantischer Mononormativität und Individualisierung auf Academia bezogen (S. 75 ff.). Hier empfinde ich den Vorschlag das Denken in Begriffen wie Interdisziplinarität kritisch zu hinterfragen: „I prefer to think of my work these days as undisciplined, a term I prefer to "interdisciplinary," since the latter suggests that one is still acknowledging the disciplinary structure despite straddling some of its divisions.“ (S. 82).
Allerdings lässt Jenkins' Darstellung an einigen Stellen die Frage offen, wie die Entkoppelung von monogamer, romantischer Liebe und Glück im Alltag konkret aussehen könnte. Sie fordert zwar dazu auf, die romantische Ideologie zu dekonstruieren und alternative Modelle wie die „eudaimonische Liebe“ zu fördern, bleibt dabei jedoch manchmal theoretisch. In der Praxis wird nicht immer klar, wie diese Ideen individuell umgesetzt werden könnten. Aber sie zeigt grundsätzliche, konkrete Schritte zur Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz nichtmonogamer Lebensentwürfe auf. So diskutiert Carrie Jenkins drei Optionen: Die erste Möglichkeit besteht darin, soziale Normen schlichtweg zu ignorieren, sie als konstruiert zu betrachten und unabhängig von ihnen zu leben. Die zweite Option zielt darauf ab, das Narrativ um Liebe und Beziehungen aktiv zu verändern, indem vielfältigere und positivere Liebesgeschichten erzählt werden. Schließlich schlägt Jenkins vor, die romantische Liebe von ihrem privilegierten Platz in unserem Wertesystem zu entthronen. Sie regt an, zu hinterfragen, warum romantische Liebe überhaupt so stark idealisiert wird, und zeigt auf, dass ihre wertvollen Eigenschaften auch in anderen Formen der Liebe zu finden sind (S. 15ff.)
Abschließend ist meine Meinung, dass es Jenkins in der Kürze des Buchs besonders gut gelingt, tief verwurzelte kulturelle Normen zu hinterfragen und dabei alternative Beziehungsformen als gleichwertige Möglichkeiten für ein erfülltes Leben aufzuzeigen.
Fazit
Nonmonogamy and Happiness von Carrie Jenkins ist eine erhellende Auseinandersetzung mit der romantischen Ideologie, die monogame Beziehungen als einzigen Weg zu Glück und Erfüllung darstellt. Mit dem Begriff der Amatonormativität und der kritischen Analyse von kapitalistischen und kolonialistischen Einflüssen auf Beziehungsnormen gelingt es Jenkins, den gesellschaftlichen Rahmen unserer Vorstellungen von Liebe und Glück zu dekonstruieren. Das von ihr stark gemachte Konzept der eudaimonischen Liebe lädt dazu ein, Sinn und kollaborative Lebensgestaltung als Kern eines «guten Lebens» zu betrachten, das nicht zwangsläufig an monogame oder romantische Strukturen gebunden ist.
Jenkins' Werk ist eine inspirierende Einführung in das Thema und verbindet konsensuelle Nicht-Monogamie mit der Suche nach einem sinnvollen, erfüllten Leben. Es fordert die Leser*innen dazu auf, bestehende Normen zu hinterfragen und alternative Beziehungsformen als vollwertigen und sinnstiftenden Teil des menschlichen Lebens zu erkennen. Wer eine fundierte, philosophisch und sozialwissenschaftlich orientierte Analyse sucht, wird in diesem Buch zumindest wertvolle Denkanstöße finden. Denn zu erkennen, welche Bestimmunsgfaktoren bisher unbewusst gewesen sein mögen, kann die individuellen und kollektiven Freiheitsspielräume erweitern.