Rezension zu Illouz: Warum Liebe weh tut
Illouz, Eva (2016): Warum Liebe weh tut. Suhrkamp (Frankfurt am Main) 7. Auflage 2023. 642 Seiten. ISBN 978-3-518-46707-7. D: 16,00 EUR. Hier geht es zum Buch.
Thema
Autorin
Eva Illouz ist Professorin für Soziologie und wird vielfach als legitime Nachfolgerin der Frankfurter Schule bezeichnet. Sie kombiniert Erkenntnisse aus den Kulturwissenschaften und der Kritischen Theorie, um eine moderne Kritik der Konsumgesellschaft zu formulieren. Illouz hat in mehreren ihrer Werke, wie zum Beispiel Warum Liebe wehtut, die Mechanismen sozialer und psychologischer Strukturen analysiert, die das Liebesleben beeinflussen. In diesem Buch widmet sie sich besonders der Frage, wie der Kapitalismus die Liebe in seine Sphäre integriert und wie romantische Praktiken dadurch verändert wurden. Die intensive theoretische Fundierung und der Einsatz umfangreicher empirischer Daten verleihen ihrem Werk eine tiefgehende analytische Schärfe und machen es zu einem bedeutenden Beitrag im Diskurs über Liebe und Konsum.
Entstehungshintergrund
Eva Illouz verfasste Warum Liebe weh tut vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Forschungen zu Emotionen, Konsumkultur und moderner Intimität. Ihre Analyse basiert auf umfassenden empirischen Daten, darunter Interviews und Fallstudien, sowie auf kulturhistorischen Untersuchungen, die vom viktorianischen Zeitalter bis zur Gegenwart reichen. Das Buch entstand in einer Zeit, in der Debatten über die Rationalisierung von Gefühlen und die Kommerzialisierung von Intimität an Bedeutung gewannen. Es reflektiert Entwicklungen, die mit der zunehmenden Individualisierung und der Liberalisierung von Geschlechterrollen einhergehen. Gleichzeitig greift Illouz auf zentrale Konzepte der Kritischen Theorie zurück, um die Verknüpfung von ökonomischen und emotionalen Prozessen aufzuzeigen. Ihre Argumentation wird zudem durch interdisziplinäre Einflüsse geprägt, etwa durch die feministische Theorie und die Sozialpsychologie, was es ihr ermöglicht, die kulturellen und sozialen Wurzeln von romantischem Leid tiefgründig zu analysieren.
Aufbau und Inhalt
Eva Illouz' Warum Liebe weh tut ist ein soziologisches Werk, das sich systematisch mit den kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen der romantischen Liebe in der Moderne auseinandersetzt. Die Struktur des Buches ist klar gegliedert: Nach einer Einleitung, die die zentrale These des Buches vorstellt und die Problematik des romantischen Leids skizziert, folgen fünf Hauptkapitel, die jeweils spezifische Aspekte moderner Liebesbeziehungen beleuchten. Jedes Kapitel schließt mit einem "Schluss", in dem die Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick auf das folgende Kapitel gegeben wird. Ein abschließender Epilog rundet die Argumentation ab und gibt eine übergreifende Bewertung der modernen Liebe sowie normative Überlegungen zur Zukunft intimer Beziehungen.
Die Einleitung mit dem Titel Das Elend der Liebe führt in die Thematik ein und setzt sich mit der Verletzlichkeit des Selbst in modernen Liebesbeziehungen auseinander. Illouz stellt die Kernthese auf, dass das romantische Leid ein Spiegel der gesellschaftlichen Zwänge und kulturellen Bedingungen der Moderne ist: „Das romantische Leid ist keine Marginalie verglichen mit mutmaßlich schwerwiegenderen Formen des Leids, weil es, wie ich zu zeigen versuchen werde, die Dilemmata und Formen der Machtlosigkeit des Selbst in der Moderne ausstellt und austrägt“ (S. 36).
Im ersten Kapitel, Die große Transformation von Liebe oder die Entstehung von Heiratsmärkten, wird die historische Entwicklung der Liebe nachgezeichnet. Illouz zeigt, wie sich romantische Beziehungen von moralisch und familiär bestimmten Verbindungen zu individualisierten und marktwirtschaftlich geprägten "Heiratsmärkten" entwickelt haben. Sie beschreibt, wie Konsumkultur, Massenmedien und kapitalistische Dynamiken die Bedeutung von Liebe transformierten. Dabei hebt sie hervor, dass die Liebe durch kulturelle Skripte geprägt wird, die wiederum spezifische gesellschaftliche und ökonomische Mechanismen widerspiegeln. In diesem Kapitel führt Illouz das Konzept der „Architektur der Wahl“ ein: „Was Menschen als ihre Präferenzen verstehen […] all dies ist durch Sprachen des Selbst geprägt, die die Architektur der Wahl ausmachen“ (S. 45). Auf dieses Konzept geht das nächste Kapitel dann ausführlicher ein.
Im zweiten Kapitel, Die Angst, sich zu binden, und die neue Architektur der romantischen Wahl, untersucht Illouz zusammen mit Mattan Shachak das Phänomen der Bindungsangst als eine kulturell und gesellschaftlich bedingte Erscheinung. Sie zeigt auf, wie das Überangebot an romantischen Möglichkeiten sowie die Kommodifizierung von Sexualität und Intimität Unsicherheiten und strategisches Verhalten fördern: „Die Vermeidungsstrategien all dieser Männer sind kein Zeichen pathologischer Psychen, sondern ein strategischer Versuch, in einem Markt […] Knappheit zu erzeugen – und somit Wert“ (S. 163f.). Illouz betont, dass Bindungsangst keine individuelle Schwäche, sondern ein Symptom moderner Liebesstrukturen ist, die auf Freiheit und Wahlmöglichkeiten beruhen.
Das dritte Kapitel, Das Verlangen nach Anerkennung: Liebe und die Verletzlichkeit des Selbst, widmet sich der Bedeutung von Selbstwert und sozialer Anerkennung in Liebesbeziehungen. Illouz argumentiert, dass romantische Beziehungen in der Moderne zu zentralen Schauplätzen für die Aushandlung von Identität und Selbstwert geworden sind: „Unsere Geltung und unser Wert [bestehen] nicht unabhängig von Interaktionen, sondern [müssen] beständig neu festgelegt und bekräftigt werden“ (S. 214). Die Liebe wird zu einem Spiegel sozialer Dynamiken, in dem die Abhängigkeit von der Anerkennung durch andere deutlich wird.
Im vierten Kapitel, Liebe, Vernunft, Ironie, analysiert Illouz die Rationalisierung von Liebe und Intimität. Sie zeigt, wie moderne Beziehungen durch utilitaristische und rationalistische Prinzipien geprägt werden: „Die moralische und psychologische Norm der emotionalen Reziprozität […] ist eine der Hauptquellen der kulturellen Rationalisierung der Liebe“ (S. 300). Hierbei thematisiert sie die Spannung zwischen romantischen Idealen und der zunehmenden Standardisierung von Beziehungen. „Die Entmystifizierung der Liebe durch die politischen Ideale der Gleichheit und Fairneß sowie durch Wissenschaft und Technik hat Liebesbeziehungen in selbstreflexive Objekte der Prüfung und Kontrolle mittels formaler und berechenbarer Verfahren verwandelt.“ (S. 318).
Das fünfte Kapitel, Von der romantischen Phantasie zur Enttäuschung, beschreibt die Ernüchterung moderner Liebesbeziehungen. Illouz verdeutlicht, dass die romantische Liebe ihre transzendente Dimension verliert und stattdessen unter systematische Verhaltensregeln subsumiert wird und geprägt von kulturellen Bildern ist: „Weitverbreitete Bilder der Liebe können zu dem Gedanken verleiten, daß anderen eine Liebe geglückt ist, die uns versagt blieb, und daß eine geglückte Liebe für ein erfolgreiches Leben normativ von Bedeutung ist.“ (S. 396). Sie untersucht, wie gesellschaftliche Erwartungen und kulturelle Skripte die romantische Phantasie einschränken und Enttäuschung fördern. Dabei stellt sie heraus, dass die vermeintlich vielfältigen Bilder und Geschichten der Liebe auf sehr wenige Schlüsselmotive und -erzählungen zurückgeführt werden können (vgl. S. 378).
Im abschließenden Epilog reflektiert Illouz über die normativen Ideale der modernen Liebe, wie Freiheit, Gleichheit und Autonomie, und diskutiert deren Chancen und Herausforderungen. Sie plädiert für eine Neubewertung moderner Liebesideale und betont die Bedeutung emotionaler Tiefe und Bindung: „Das Vermögen, aus Beziehungen und Gefühlen einen Sinn zu beziehen, läßt sich […] bei denjenigen Bindungen antreffen, die das ganze Selbst in Anspruch nehmen“ (S. 438). Auch betont sie nochmal, dass Biologie und Psychologie, die häufig herangezogen werden, um die Probleme romantischer Beziehungen zu erklären und zu rechtfertigen, tatsächlich selbst Teil der Probleme sind, anstatt Lösungen dafür zu bieten (vgl. S. 436).
Diskussion
In Der Konsum der Romantik analysiert Eva Illouz die wechselseitige Beziehung zwischen Liebe und Kapitalismus und zeigt auf, wie romantische Gefühle und Beziehungen durch Konsumpraktiken beeinflusst und verändert werden. Eine ihrer zentralen Thesen ist, dass romantische Liebe in der modernen Kultur als Konsumerlebnis inszeniert wird, das auf temporale, räumliche, künstliche und emotionale Grenzziehungen angewiesen ist, um eine besondere Atmosphäre zu schaffen. Dabei wird deutlich, dass Konsumgüter – wie luxuriöse Reisen, Kinobesuche und Geschenke – zu Ritualen werden, die den romantischen Kontext formen und intensivieren. Diese Formen des romantischen Konsums, so Illouz, „geben vor, ein radikal klassenloses und geschlechtsneutrales Antlitz zu präsentieren“ (S. 139) und vermitteln den Anschein, dass romantische Liebe über den sozialen Schichten stehe. Das kulturelle Konstrukt von Romantik neutralisiere die Geschlechtsunterschiede weitestgehend, indem es alle Geschlechter in die ‚weibliche‘ Gefühlssphäre versetzt (vgl. S. 131)
Fazit
Eva Illouz' Warum Liebe weh tut ist eine beeindruckende und tiefgehende Untersuchung der Liebe als soziales und kulturelles Phänomen. Das Buch zeigt auf, wie sehr die romantische Liebe in der Moderne durch kulturelle, ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen geprägt ist und wie diese Bedingungen gleichzeitig zur Verletzlichkeit und zum Leid des modernen Selbst beitragen. Illouz legt dar, dass die Liebe mehr ist als nur ein kulturelles Ideal – sie ist eine soziale Grundlage des Selbst. Gleichzeitig zeigt sie jedoch, dass die kulturellen Ressourcen, die diese Grundlage einst ermöglichten, weitgehend aufgebraucht sind. Diese Dynamik macht die Liebesbeziehung nicht nur zu einer zentralen Quelle der Selbstachtung, sondern auch zu einem Schauplatz tiefgreifender Unsicherheiten.
Illouz erkennt in ihrer Analyse die grundlegenden Werte der Moderne – Freiheit, Vernunft, Gleichheit und Autonomie – als wichtige Errungenschaften an. Doch sie bleibt nicht blind für die immensen Schwierigkeiten, die diese zentrale kulturelle Matrix der Moderne aufgeworfen hat. Das Buch liefert eine nüchterne Bestandsaufnahme, indem es die Widersprüche und Herausforderungen moderner Liebesbeziehungen offenlegt. Gleichzeitig vermittelt es die Hoffnung, dass wir durch ein tieferes Verständnis und durch neue Formen der Ethik in unseren sexuellen und emotionalen Verhältnissen Möglichkeiten finden können, diese Schwierigkeiten zu überwinden.
Illouz' Fazit ist eine „ernüchterte Bejahung der Moderne im Medium der Liebe“. Sie verzichtet bewusst auf utopische Träume oder radikale Denunziationen und plädiert stattdessen für eine geistige Klarheit und Selbsterkenntnis, die uns helfen könnten, neue Formen leidenschaftlicher und tragfähiger Liebe zu erfinden. In einer Zeit, in der romantische Beziehungen nicht nur unser persönliches Glück, sondern auch unseren Selbstwert entscheidend beeinflussen, ist diese nüchterne Analyse ein wertvoller Beitrag, der sowohl zum Nachdenken als auch zum Handeln anregt. Warum Liebe weh tut bietet damit eine leise, aber eindringliche Hoffnung: Dass wir, trotz aller kulturellen und emotionalen Komplexitäten, Wege finden können, die Liebe und das Leben in der Moderne neu zu gestalten. Denn auf die Welt kann nur klug einwirken, wer Sie kennt.